Samstag, 10. Mai 2008

Legende von der Erschaffung einer Mutter

Und wiedereinmal habe ich bei einem Seminar eine wunderbare Geschichte bekommen, die ich Ihnen, liebe Leser, nicht vorenthalten möchte:

Als der liebe Gott die Mutter schuf, machte er bereits den sechsten Tag Überstunden. Da erschien der Engel und sagte: "Herr, Ihr bastelt aber lange an dieser Figur!" Der liebe Gott sprach: "Hast du die speziellen Wünsche auf der Bestellung gesehen? Sie soll pflegeleicht, aber nicht aus Plastik sein; sie soll 160 bewegliche Teile haben; sie soll Nerven wie Drahtseile haben und einen Schoss, auf dem zehn Kinder gleichzeitig sitzen können, und trotzdem muss sie auf einem Kinderstuhl Platz haben. Sie soll in einer überwiegend gebückten Haltung leben können für all die Sachen die am Boden herumliegen aufzuheben. Ihr Zuspruch soll alles heilen, von der Beule bis zum Seelenschmerz; sie soll sechs Paar Hände haben."

Da schüttelt der Engel den Kopf und sagt: "sechs Paar Hände, das wird· kaum gehen!" "Die Hände machen mir keine Kopfschmerzen", sagte der liebe Gott, "aber die drei Paar Augen, die eine Mutter haben muss." "Gehören die denn zum Standardmodell?" fragte der Engel. Der liebe Gott nickte: "Ein Paar, das durch geschlossene Türen blickt, während sie fragt: Was macht ihr denn da drüben? -obwohl sie es längst weiss. Ein zweites Paar im Hinterkopf, mit dem sie sieht, was sie nicht sehen soll, aber wissen muss. Und natürlich noch die zwei Augen hier vorn, aus denen sie ein Kind ansehen kann, das sich unmöglich benimmt, und die trotzdem sagen: Ich verstehe dich und habe dich sehr lieb - ohne dass sie ein einziges Wort spricht."

,0 Herr!" sagte der Engel und zupfte ihn leise am Ärmel! "geht schlafen und macht morgen weiter."

"Ich kann nicht", sagte der liebe Gott, "denn ich bin nahe dran, etwas zu schaffen, das mir einigermassen ähnelt. Ich habe bereits geschafft, dass sie sich selbst heilt, wenn sie krank ist; dass sie 30 Kinder mit einem winzigen Geburtstagskuchen zufrieden stellt; dass sie eine Dreijährige davon überzeugt, dass Knete nicht essbar ist; einen Sechsjährigen dazu bringen kann, sich vor dem Essen die Hände zu waschen, und übermitteln kann, dass Füße überwiegend zum Laufen und nicht zum Treten gedacht waren."

Der Engel ging langsam um das Model der Mutter herum. "Zu weich", seufzte er. "Aber zäh", sagte der liebe Gott energisch. "Du glaubst gar nicht, was diese Mutter alles leisten und aushalten kann!" -"Kann sie denken?" "Nicht nur denken, sondern sogar urteilen und Kompromisse schliessen", sagte der der liebe Gott, "und vergessen!" Schliesslich beugte sich der Engel vor und fuhr mit einem Finger über die Wange des Models. "Da ist ein Leck", sagte er. "Ich habe Euch ja gesagt, Ihr versucht, zuviel in das Modell hineinzupacken."

"Das ist kein Leck", sagte der liebe Gott, "das ist eine Träne." "Wofür ist sie?"

"Sie fliesst bei Freude, Trauer, Enttäuschung, Schmerz und Verlassenheit." "Ihr seid ein Genie!" sagte der Engel.

Da blickte der liebe Gott versonnen: "Die Träne", sagte er, "ist das Überlaufventil."

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